Introvertiert - was ist das? Wie zeigt sich das im Alltag?
Dr. phil. Brigitte Seiler

Dr. phil. Brigitte Seiler

Introvertierte Menschen suchen und brauchen weniger Kontakt zu anderen, als die meisten Menschen um sie herum.

In der Ratgeberliteratur und auf social media ranken sich um den Begriff ‚introvertiert‘ zahlreiche Merkmale und Mythen. Einerseits nachvollziehbar, denn ‚introvertiert‘ ist nicht gleich ‚introvertiert‘ – und: jeder Introvertierte hat sehr viele unterschiedliche und andere Facetten.

In diesem Blogbeitrag erfährst du, was aus wissenschaftlicher Perspektive als ‚spezifisch introvertiert‘ gelten kann – und was nicht.

Und welche Typen sich im Kontext von Introversion bilden lassen.

 

Was ist 'introvertiert'?

Was bedeutet ‚introvertiert‘? Oder: wer ist introvertiert? Etymologisch geht Introversion (oder Introvertiertheit) auf die lateinischen Begriffe intro (hinein) und vertere (wenden) zurück. Ursprünglich bezeichnet der Begriff also etwas nach innen Gekehrtes, weniger auf die Kommunikation mit dem Außen Gerichtetes.

Definition von 'introvertiert'

In Gesprächen oder naturgemäß kurzen social media-Posts werden verschiedene mehr oder weniger treffende Merkmale und Eigenschaften aufgeführt.
Die Folge: Es entsteht ein weitgehend unscharfes Bild von Introversion, das sich in der Vorstellung Einzelner durchaus unterscheiden kann.

In der Praxis ist daher zu berücksichtigen: introvertiert ‚ist‘ das, was jemand explizit oder implizit unter Introversion versteht.  Für den Austausch untereinander kann es deshalb sehr hilfreich sein, sich über die eigenen Begriffsvorstellungen klar zu werden und sie zum Ausdruck zu bringen – um auf diese Weise eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen.

Aus diesem Grund steht im wissenschaftlichen Kontext stets zu Beginn die Begriffsklärung. Die Frage also: auf welche Definition von ‚Introversion‘ berufe ich mich? Welche liegt mir bei meinen Ausführungen zu Grunde?

Für eine systematische Annäherung an des Thema ‚Introversion‘ bieten sich hier die ‚Big Five der Persönlichkeit‘ an, dem wohl weltweit am meisten wissenschaftlich untersuchten Persönlichkeitsinventar.

Hier wird als ‚Extraversion‘ die Aktivität im Umgang mit Menschen erfasst. ‚Introvertiert‘ wäre demnach eine geringe Aktivität im Umgang mit Menschen.

Übrigens:  es gibt es keinen Unterschied zwischen ‚introvertiert‘ und ‚intravertiert‘. Beide Begriffe
werden synonym verwendet. Gleiches gilt für ‚extrovertiert‘ und ‚extravertiert‘.

 

Introvertierte ziehen sich gerne zurück

Introversion im Kontext der Gesamtpersönlichkeit

Neben dem Persönlichkeitsfaktor ‚Extraversion‘ bieten die ‚Big Five der Persönlichkeit‘ einen sehr guten Gesamtüberblick über das Denken, Fühlen und Handeln von Menschen. Darüber hinaus gibt das Modell Auskunft über die Persönlichkeitsfaktoren Neurotizismus, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit (manchmal auch als ‚Offenheit für Neues‘ bezeichnet).

Wichtig zu wissen ist: diese fünf Persönlichkeitsfaktoren sind weitgehend voneinander unabhängig. D. h.: hohe oder geringe Ausprägungen in ‚Extraversion‘ – bzw. ‚Intraversion‘ – haben statistisch keine relevante Verbindung zu den anderen Faktoren. Diese können also jede mögliche Ausprägung aufweisen: hoch, gering oder mittig.

Und die sich daraus ergebenden zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten führen dann zu einer bunten Blumenwiese introvertierter Menschen.

 

Die Metafaktoren der Persönlichkeit

Neuere Forschungsarbeiten zeigen, dass sich die ‚Big Five‘ in zwei Metafaktoren der Persönlichkeit zusammenfassen lassen: Stabilität und Plastizität. Im Kontext von Introversion ist insbesondere ‚Plastizität‘ von Interesse, denn sie wird gebildet aus den Big Five-Faktoren ‚Extraversion‘ und ‚Offenheit für Neues‘:

  • ‚Extraversion‘ erfasst die Aktivität im Umgang mit Menschen
  • ‚Offenheit‘ die Aktivität im Umgang mit Theorien oder neuen Dingen


Was häufig übersehen wird: Introversion fokussiert also lediglich eine geringe Aktivität im Umgang mit Menschen. Im Umgang mit Wissen oder Dingen können sich Introvertierte durchaus aktiv und explorativ zeigen.

Introvertiert.

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Gibt es verschiedene Typen von Introversion?

Typenbildungen entstehen oft durch Beobachtung und Sammlung verschiedener, häufig gemeinsam auftretender Merkmale durch selbst Betroffene. Sie sind quasi „aus sich selbst heraus entstanden“. Die daraus folgende unscharfe Konturierung ermöglicht es zwar zahlreichen Lesern, sich in den Beschreibungen wiederzufinden.

Doch die Frage „Bin ich introvertiert?“ bleibt für viele Leser weitgehend offen.

Doch es gibt auch eine Möglichkeit der systematischen Typenermittlung. Wissenschaftliche Herangehensweisen erlauben die Ermittlung weitgehend konkreter Einschluss- oder Ausschlusskriterien für Introversion.

Dabei bieten sich zwei Zugangswege an:

  • Facetten innerhalb des Persönlichkeitsfaktors ‚Introversion‘ zu unterscheiden
  • Ausprägungen des Persönlichkeitsfaktors ‚Introversion‘ mit anderen Persönlichkeitsfaktoren in Verbindung zu bringen
Introvertierte brauchen viel Zeit für sich alleine

Unterschiede innerhalb von Introversion

In wissenschaftlichen Studien konnte gezeigt werden, dass sich der Big Five Faktor ‚Extraversion‘ im Wesentlichen in zwei Subfaktoren aufteilen lässt: Begeisterungsfähigkeit und Selbstbehauptung. Oder aus der gegenüberliegenden introvertierten Perspektive beschrieben: in Nüchternheit und Anpassung.

Manche Introvertierte neigen daher stärker zur Nüchternheit, andere mehr zur Anpassung. Zeigen sich beide Faktoren mit überdurchschnittlicher Ausprägung, mündet dies in sehr geringen Werten für ‚Extraversion‘.

 

Der ernste Introvertierte

Ein erster Typus von Introversion lässt sich aus dem Persönlichkeitsfaktor ‚Nüchternheit‘ ableiten. Solche Menschen gehen selten eigeninitiativ auf andere zu und geben wenig von sich preis. Sie denken gerne kritisch-konstruktiv und wirken dabei eher schweigsam und ernst. Eine ihrer Stärken ist es, auf wichtige Schwachstellen oder Gefahrenpunkte hinzuweisen.

 

Der zurückhaltende Introvertierte