Empathie gehört zu den Schlüsselkompetenzen von Führungskräften

Empathie - Reise in die Gefühlswelt anderer

Empathie gilt als sozial erwünscht und als Schlüsselqualifikation für Führungskräfte. Doch was ist überhaupt Empathie? Wofür konkret braucht man sie? Kann sie auch schaden? Oder: Wird Empathie gar überbewertet?

Diesen Themen widme ich mich in diesem Blogbeitrag.

 

Inhalt

Definition: was ist Empathie?

Landläufig wird unter Empathie die Fähigkeit verstanden, die psychischen Zustände und Motive einer anderen Person zu erkennen oder sich in sie hineinversetzen zu können. Allerdings lässt dieses Verständnis wichtige Aspekte von Empathie unberücksichtigt. Deshalb wähle ich für diesen Blog-Artikel die – zugegebenermaßen etwas sperrige – Definition des Dorsch-Lexikons.

Demnach ist Empathie „das affektive Nachempfinden der vermuteten Emotion eines anderen Lebewesens auf Basis des kognitiven Verstehens dieser Emotion und bei Aufrechterhaltung der Selbst-Andere-Differenzierung“.

Scheint zunächst etwas kompliziert. Deshalb schlüssele ich die Aspekte etwas auf:

Drei Aspekte von Empathie

Dieser Definition lassen sich drei wichtige Aspekte entnehmen:

Emotionale Empathie – oder aktives Nachempfinden

Die Emotionale Empathie lässt uns fühlen, was der andere fühlt. Dies setzt eine emotionale Schwingungsfähigkeit oder eine emotionale Sensitivität voraus im Sinne eines emotionalen Repertoires. Denn nur wer über einen entsprechenden Resonanzraum verfügt, kann an die Emotionen des Gegenübers anschließen und mitschwingen.

Kognitive Empathie – oder verstehen von Emotionen

Die kognitive Empathie gibt uns als eher rationaler Zugang Aufschluss über die vermuteten Gedanken, Gefühle oder Absichten anderer Menschen, u. a. als Ergebnis reflektierter Perspektivenübernahme. Wir können dann erklären, wie unser Gegenüber vermutlich fühlt oder die Situation erlebt.

Innere Distanz – oder Selbst-Andere-Differenzierung

Der dritte Aspekt betrifft den adäquaten Umgang mit anderen. Wir erkennen die Empathie auslösende Emotion des Gegenübers bewusst als diesem Anderen zugehörig und erleben sie nicht als genuin eigene Emotion. Mit einer solchen inneren Distanz agieren und reagieren wir weniger automatisiert, sondern versuchen aus unseren Wahrnehmungen und Reflexionen ein adäquates Verhalten abzuleiten.

Empathische Gesprächsführung in der Beratung

Empathie oder Mitgefühl?

Alltagssprachlich werden beide Begriffe teilweise synonym, zum Teil aber auch in unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher Bedeutung verwendet.

Neuere Ergebnisse der Hirnforschung verstehen Empathie eher als Resonanzfähigkeit, bei der man ein Gefühl, z. B. Schmerz, mit einer anderen Person teilt.

Mitgefühl dagegen wird als etwas aktiv-wohlwollendes verstanden, vergleichbar etwa mit der Fürsorge einer Mutter, die ihr Kind tröstet.

Nach dieser Definition fragt Empathie eher, wie es dem anderen geht. Mitgefühl eher, was der andere braucht.

Gibt es ein zu viel an Empathie oder Mitgefühl?

Bei genauerem Hinsehen haben beide Begriffe ihre Tücken. Zu hohe emotionale Empathie kann empathischen Stress verursachen und zur emotionalen Überflutung oder Erschöpfung führen.

Auch Mitgefühl mit dem Bedürfnis, sich zu kümmern oder Bedürftigen zu helfen, kann in die emotionale oder körperliche Erschöpfung führen. Darüber hinaus kann Mitgefühl zu einer Verzerrung der Verantwortlichkeiten beitragen und andere in ihrer eigenen Entwicklung nicht ausreichend fördern.

Ein gewisses Maß an Wachsamkeit oder Vorsicht ist also bei beiden geboten.

Kann Empathie gefährlich sein?

Empathie ist zunächst lediglich eine Eigenschaft oder eine Fähigkeit. Offen dagegen ist, mit welcher Haltung sowie wofür sie eingesetzt wird.

Empathie kann durchaus dazu dienen, Menschen zu manipulieren. Denn wer andere gut spürt und versteht, kann dies auch für eigene Zwecke nutzbar machen. Im Kleinen steckt in jedem von uns ein solcher Kern, den wir zur Selbstfürsorge brauchen. Nimmt dieser Kern größere Dimensionen an, kann er bspw. in Form von Machtmissbrauch erheblichen Schaden anrichten.

Glaub' nicht alles, was du spürst

Menschen mit ausgeprägter Empathiefähigkeit neigen häufig dazu, eigene Gefühle auf andere zu projizieren: sie gehen dann davon aus, dass ihr Gegenüber das fühlt, was sie an deren Stelle empfinden würden. Dies muss aber nicht der Fall sein, insbesondere bei Menschen mit geringerer emotionaler Schwingungsfähigkeit.

Es ist also möglich, dass sich Menschen, die sich als sehr empathisch wahrnehmen, Gefühle in andere ‚hineinlesen‘ und Schlüsse daraus ziehen, die dem Gegenüber oder der aktuellen Situation nicht gerecht werden.

Hier hilft möglicherweise das Bewusstsein: nicht alle Gefühle, die ich beim anderen wahrnehme, sind auch die, die der andere tatsächlich so empfindet. Wer von sich weiß, dass er intensiv fühlt, sei hier zur Vorsicht angeregt.

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Vier Skalen von Empathie

Der wissenschaftlich fundierte Saarbrücker Persönlichkeitsfragebogen erfasst als deutsche Übersetzung des Interpersonal Reactivity Index nach Mark Davis Empathie in vier Skalen:

Perspective Thinking: Perspektivenübernahme

Diese Skala erfasst als Teil der kognitiven Empathie die Fähigkeit, den Standpunkt eines anderen Menschen zu verstehen. Hierzu gehören Perspektivenübernahme und die Fähigkeit, die Welt mit den Augen des Gegenübers zu sehen.

Empathic Concern: Gefühlsübernahme

Die Skala Empathic Concern erfasst die Sympathie für andere und die Fähigkeit, deren Gefühle nachzuvollziehen. Sie wird der emotionalen Empathie zugeordnet.

Personal distress: persönliche Betroffenheit

Unter Personal distress wird die persönliche Betroffenheit erfasst, wenn andere Menschen in emotional belastende Situationen oder Nöte geraten. Diese Skala gibt Auskunft die Ausprägung der Selbst-Andere-Differenzierung.

Fantasy: Eintauchen in Erlebniswelten anderer

Fantasy erfasst die Fähigkeit, sich als Akteur in fiktive Geschichten hineinzuversetzen und entsprechend zu handeln. Hier spielen Bücher und Filme eine wichtige Rolle und das Eintauchen in die ganz unterschiedlichen Erlebniswelten anderer.

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Empathischer werden

Während die ersten drei Skalen nach Mark Davis sich mit den gängigen drei Aspekten von Empathie decken, ist es insbesondere die vierte Skala – Fantasy – die wichtige Hinweise darauf gibt, wie Empathie gefördert oder weiterentwickelt werden kann.

Denn wie vieles andere lässt sich Empathie nicht durch Wissenserwerb aneignen, sondern durch praktische Erfahrung. Und hier kann das Schauen von Filmen und ein sich anschließender Austausch mit anderen neue und wertvolle Erfahrungsräume aufschließen.

Empathielosigkeit

Wirklich ‚empathielose Menschen‘ bilden eine sehr seltene Ausnahme und haben dann meist einen pathologischen Hintergrund.

Alltagssprachlich wird der Begriff im Sinne einer eher gering ausgeprägten Empathie verwendet – häufig aus der Sicht derer, die darunter leiden. Dies kann im Einzelfall durchaus dazu führen, dass jemand mit sehr hoch ausgeprägter emotionaler Empathie beklagt, sein Gegenüber sei empathielos – dieser sich aber diesbezüglich weitgehend im Normbereich bewegt.

Wann wenig Empathie hilfreich sein kann

Auch wenn Empathie sozial erwünscht ist und ein Mangel sich durchaus negativ auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirken kann: es gibt auch zahlreiche Situationen, in denen eine eher geringere Ausprägung von Empathie hilfreich oder ein gewisser Schutz sein kann, wie z. B:

  • Wenn in Extremsituationen – wie in Notfällen oder in der Katastrophenhilfe – Handlungsfähigkeit in Situationen mit extremer emotionaler Belastung gefordert ist
  • Wenn unbequeme Entscheidungen zu treffen sind
  • Um nach eigenen Fehlern oder Misserfolgen wieder aufzustehen und weiterzumachen
  • Um die Verantwortung für bestimmte Dinge bei den Verantwortlichen zu belassen
  • anderen Menschen Unbequemes zuzumuten, um sie an den damit verbundenen Erfahrungen wachsen zu lassen.

Empathie und Abgrenzung

Natürlich können auch hoch emotional oder kognitiv empathische Menschen lernen, sich besser abzugrenzen. Insbesondere dann, wenn sie über eine entsprechende innere Distanz verfügen. Doch benötigen insbesondere Menschen mit hoher emotionaler Empathie hier erheblich mehr Energie, die ihnen dann für anderes nicht mehr zur Verfügung steht oder auf Dauer ihre Gesundheit beeinträchtigen kann.

Empathie - wohtuend insbesondere in emotional belastenden Situationen

Persönlichkeitsfaktoren und Empathie

Erste Hinweise auf individuell ausgeprägte Empathie geben Big Five-Persönlichkeitsinventare.

Hier sind es die Persönlichkeitsfaktoren „Neurotizismus“ und „Verträglichkeit“ mit ihren Subfaktoren, die in Zusammenhang gebracht werden könne mit Empathie.

Neurotizismus

Die ‚Emotionale Stabilität‘ mit ihrem Gegenpol ‚Emotionale Beweglichkeit‘ gibt Auskunft darüber, wie mehr oder weniger leicht reizbar sich eine Person zeigt oder aus der Ruhe zu bringen ist. Eine eher geringe emotionale Beweglichkeit deutet auf ein eher geringes emotionales Repertoire hin, auf das empathisch zurückgegriffen werden kann.

Und der Subfaktor ‚Selbstvertrauen‘ mit dem Gegenpol ‚Selbstunsicherheit‘ gibt Hinweise darauf, wie rasch eine Person an sich zweifelt, zu Stimmungsschwankungen neigt oder sich von den Menschen seiner Umgebung verunsichern lässt. Hier sind es hohe Ausprägungen im ‚Selbstvertrauen‘, die tendenziell weniger zur Perspektivenübernahme neigen.

Verträglichkeit

Mit dem Subfaktor ‚Einfühlsamkeit‘ werden Aspekte des Mitgefühls erfasst und das Interesse am Austausch von Gefühlen und Befindlichkeiten. Personen mit hohen Skalenwerten neigen dazu, sich in ihren Gefühlswelten zu verlieren und weniger in die Handlung zu kommen.

Und die ‚Kooperative Haltung‘ gibt Aufschluss darüber, wie rücksichtsvoll oder nachgiebig sich jemand zeigt. Auch hier könnten hohe Skalenwerte auf eine eher geringe Selbst-Andere-Differenzierung hinweisen.

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Ausblick

Empathie hat viele Facetten. In der Partnerschaft wünschen wir uns tendenziell eher einen empathischen Menschen. Sind wir in einen Verkehrsunfall verwickelt, profitieren wir von weniger empathischen Helfern.

Empathisch führen zu können, setzt dreierlei Aspekte oder Persönlichkeitseigenschaften voraus: eine gewisse emotionale Beweglichkeit, die Fähigkeit der Perspektivenübernahme sowie die Fähigkeit zur inneren Distanz.

Denn einerseits ist ein gewisses emotionales Repertoire erforderlich, um überhaupt in Resonanz gehen zu können. Andererseits braucht es eine Regulationsfähigkeit, die aus dieser Gefühlslage heraus reflektiert und situativ adäquat handeln lässt.

Denn Empathie hat Möglichkeiten – und Grenzen.

 

 

Die Definition von Empathie habe ich hier entnommen:

https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/empathie#search=96c749a113512e1cc004f31bf2d26865&offset=0

abgerufen am 07.06.2023

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Meine Blogbeiträge

Mein Name ist Dr. Brigitte Seiler

Als Psychologin mit langjähriger praktischer Erfahrung und großer Expertise im Bereich Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung berate ich Menschen bei ihren aktuellen Fragestellungen. Mein Spektrum reicht dabei von der psychotherapienahen Beratung bei Anzeichen von Depression oder Burnout bis hin zu Fragestellungen zur privaten oder beruflichen Weiterentwicklung.

Dr. phil. Brigitte Seiler. Kompetent und weltanschaulich offen. Viele Jahre Erfahrung in psychotherapeutischen und beratenden Kontexten.

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Publikationen

Denner, Liselotte / Ulrich Wehner / Brigitte Seiler / Annette Scheible (2020): Personbezogene pädagogische Professionalisierung – erste Befunde aus dem ppProfess-Projekt. In: Beck, Melanie / Lara Billion / Marei Fetzer / Melanie Huth / Victoria Möller / Anna-Marietha Vogler (Hrsg.): Multiperspektivische Analysen von Lehr-Lernprozessen Mathematikdidaktische, multimodale, digitale und konzeptionelle Ansätze. Münster u.a.: Waxmann-Verlag, S. 185-204 (Peer-review-Verfahren).

Seiler, B. (2019). Wirkfaktoren in Kunsttherapie und Kunstpädagogik: ein Vergleich. In: Kunst & Therapie. Zeitschrift für bildnerische Therapien. Jahresband (M. Wendlandt-Baumeister, K.-H. Mentzen, & P. Rech, Hrsg.). Köln: Claus Richter Verlag, S. 106-119.

Seiler, B. (2018). Wirkfaktoren menschlicher Veränderungsprozesse. Das ModiV in allgemeiner und kunstbezogener Beratung, Psychotherapie und Pädagogik. Wiesbaden: Springer.

Auszeichnungen

Trägerin des Wissenschaftspreis der Dr. Bertold Moos-Stiftung 2018